Lehrerin und Schülerin

Das Verhältnis von Schülerin und Lehrerin ist eines der schwierigsten Beziehungssysteme, die ich in unserer Kultur kenne. Es birgt eine Unzahl von missverständlicher und degenerierter Vorstellungen, kaum weniger als das Verhältnis zwischen Liebenden. Wenn Frauen zu mir oder zu einer anderen Frau kommen, um hier Schülerin sein zu wollen, beginnt das Dilemma bereits. Sie verbindet mit Schülerin von vorne herein die Unwissende und die Ohnmächtige und begegnet der Lehrerin als der Wissenden und Mächtigen. Das Verhältnis von Macht untereinander ist vielleicht in Deutschland mehr als anderswo, ein so pervertiertes, dass es uns nicht wundern muss, wenn wir alle keine klaren Vorstellungen und vor allem keine stärkenden Vorstellungen von Macht mehr besitzen.

Eine Schülerin die so sehr damit beschäftigt ist, ihre Lehrerin als mächtig und sich als ohnmächtig zu betrachten, ist nicht in der Lage dass zu lernen, was sie lernen will. So kann sie ihre eine Potenz und die daraus resultierende Mächtigkeit des Handelns nicht erfahren. Sie ist gefangen in den täglichen Arbeiten ihres Gefühls und ihrer Gedanken, des sich-ohnmächtig-fühlens sie muss beobachten, ob die Lehrerin nicht doch auch fehlbar (d. h. meist, genau so ohnmächtig) ist. Ihre kreative Potenz die sie eigentlich zum Lernen bräuchte, steckt in diesen irrealen Auf- und Abbauten von sich und anderen. Ich nenne dies das Stadium des Vorfeldes, und das Stadium des Zögerns, da alle Kraft für das Auf- und Abbauen eine Podestes für die Lehrerin und die inneren Dialoge über die eigene Fähigkeit oder Unfähigkeit aufgebraucht wird.

Bei dem Verhältnis von Lehrerin und Schülerin geht es nicht darum, die Lehrerin toll zu finden, als eine zu betrachten die es kann, um dann enttäuscht festzustellen, dass sie Kratzer in einem Image hat, das die Schülerin ihr meist selbst verliehen hat. Es geht auch nicht um die Leistungen als Schülerin, die sie erbringt oder nicht erbringt.  Es geht einfach darum, zu lernen.

… Als Schülerin gibt eine der Frau, die sie zur Lehrerin wählt, als Vorgabe weder die Vorstellung, dass sie alles weiss, noch dass sie alles kann, noch dass sie mächtiger ist als sie selbst. Der Bonus, den sie selbst braucht, um kreativ lernen zu können, heisst Vertrauen. Dieses Vertrauen geht in zwei Richtungen. Einmal ist es ihr Vertrauen, in sich zu spüren, wo sie wirklich hin will. Zum anderen ist es das Vertrauen in das Wissen und die Fähigkeit der Lehrerin, sie ein Stück ihres Weges zu begleiten und zu führen.

Keine ausser der Schülerin selbst ist es, die beschliesst, sich handlungsfähig zu machen nach den eigenen, elementaren Grundsätzen und dafür jede ihr notwendig erscheinende Hilfestellung anzunehmen, die sie in die Lage versetzt. Das gleiche gilt für die Frau, die die Position der Lehrerin inne hat. Positionen wechseln und sind nicht lebenslänglich statisch, dies ist auch einer der Trugschlüsse in diesem Verhältnis, deren erster Satz heisst:
Gefolgschaft macht nicht satt.

Auch für die Lehrerin geht es nicht um eine Position, eine Rangfolge, sondern um die Vermittlung von dem was sie weiss. Es kann also nicht ihr Interesse sein -recht- zu haben oder besser zu wissen, sondern zu lehren, nur dies und nichts daneben. Sobald eine von beiden damit beschäftigt ist, darauf zu achten, ob die andere sie so mag, gut findet, sie akzeptiert oder nicht, ist sie im Vorfeld angekommen. Das heisst, in ihrer eigenen geschlossenen Welt, in der sie nichtmehr wirkungsvoll kommunizieren kann. Sie steht dann nicht mehr wirklich in Bezug zu anderen, sondern ist in ihren eigenen Verwirrungen und unwesentlichen Ebenen angekommen. Wenn ich unwesentlich sage, dann meine ich den Sinn des Wortes Unwesen.

Als Schülerin erteile ich der Lehrerin Autorität – ich suche sie mir aus. Keine ist berechtigt, meine Lehrerin zu sein, mich belehren zu wollen, ohne dass ich sie darum gebeten habe. Ich bin nicht der Lehrerin verpflichtet, sondern lediglich meinem eigenen Drang, mich zu entwickeln. Als Lehrerin nehme ich die erteilte Autorität an; es ist keine Frage der persönlichen Befriedigung, sondern eine Herausforderung an meine Klarheit.

Ich bin nicht der Schülerin verpflichtet, sondern dem was sie lernen will. Nichts an den Begriffen Schülerin und Lehrerin ist absolut, keine Frau ist in allen Bereichen ausschliesslich Schülerin, und keine ist immer nur Lehrerin.

Ute Manan Schiran
aus: Menschenfrauen fliegen wieder
leicht verändert von Dorothee Bornath