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Himmelfahrt

Und soll’t ich geh’n, 
solange Du noch hier…

So wisse, dass ich weiterlebe,
 nur tanz ich dann zu einer andren Weise 
und hinter einem Schleier, der mich dir verbirgt.

Sehen wirst du mich nicht, 
jedoch hab nur Vertrauen.
 Ich warte auf die Zeit,
da wir gemeinsam neue Höhen erklimmen 
einer des anderen wahrhaftig.

Bis dorthin leere du den Becher 
deines Lebens bis zur Neige, 
und wenn Du mich einst brauchst, 
lass nur dein Herz mich leise rufen

… ich werde da sein.

Colleen Corah Hitchcock

Herbst

Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.

Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.

Wir alle fallen.
Diese Hand da fällt.
Und sieh Dir andre an: es ist in allen.

Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.

Rainer Maria Rilke

Vom Tod

Ihr möchtet wissen um das Geheimnis des Todes.
Doch wie sollt ihr es entdecken,
so ihr nicht danach forschet im Herzen des Lebens?

So ihr wahrhaftig den Geist des Todes erschauen wollt,
öffnet weit euer Herz dem Leib des Lebens.
Denn Leben und Tod sind eins,
so wie Fluss und Meer eins sind.

Und was bedeutet Sterben anderes
als nackt im Wind zu stehen und in der Sonne zu zerfließen?
Und was bedeutet das Stocken des Atems anderes
als dessen Befreiung aus den rastlosen Fluten,
auf dass er sich erhebe und entfalte und Gott suche unbeschwert?

Erst so ihr trinket aus dem Fluss des Schweigens,
werdet ihr wahrhaft singen.
Und erst, so ihr den Gipfel des Berges erklommen,
werdet ihr wahrhaft anfangen zu steigen.
Und erst, so die Erde ihren Anspruch erhebt auf Eure Gliedmaßen,
werdet ihr wahrhaft tanzen.

Kahlil Gibran

Das andere Totenbuch

von Wulf Mirko Weinreich
Da ich es nie geschafft habe, das Tibetische Totenbuch zu lesen, bin ich Herrn Weinreich sehr dankbar für das Büchlein in dem er “die wichtigsten Stationen des `Bardo Thödol`in westliche Sprach- und Vorstellungswelten übertragen hat”. Praktisch zur Sterbebegleitung weit über den letzten Atemzug hinaus, und zur Meditation.
ISBN 978-3-8391-0645-7

Wirst du bei mir sein?

Wirst du bei mir sein am kalten Morgen des Sterbens?
Wenn das Feuer in mir erlischt und nichts mein Blut wärmt,
kannst du mich dann mit den Augen einer Mutter beobachten?

Wenn die Kerze abgebrannt ist und die Freunde fort sind?
Kannst du einfach da sein
und keinen weiteren Atemzug von mir wünschen?

Und wenn meine Augen geschlossen sind,
froh über die lange stille Ruhe,
wirst du dann weiter still mit mir reisen?

Während ich diese Tür hinter mir schließe
und mich in das offenen Herz des Todes öffne,
ruft mich jenes süße Liebeslied, das mich in die Geburt rief,
nun in den sicheren Schoß der Erde zurück.

Phyllida Anam-Aire (ursprünglisch gälisch)
aus: “Das Keltische Totenbuch”